Wie lautet dein Beziehungsstatus mit deinem kleinen Finger auf der Gitarre?
Verheiratet?
Freunde?
Oder: Es ist kompliziert?
Ich hatte lange Zeit ein verkorkstes Verhältnis zu meinem kleinen Finger.
Ich ging ihm lange Zeit bewusst und unbewusst aus dem Weg.
Er begleitete mich meistens nur beim greifen bestimmter Akkorde.
Gleichzeitig bombardierten mich Lehrmittel, dass ich beim Leadspiel strikt einen Finger pro Bund nutzen sollte.
Es sei die einzige Technik, die mir komplette Freiheit auf dem Griffbrett versichern kann.
Ok, also doch, Pinky is God!
Ich knickte ein und begann meinen kleinen Finger gezielt auszubilden.
Hat es mein Gitarrenspiel auf ein ganz anderes Level gebracht?
Ja und nein.
Ich verrate dir jetzt, wieso der kleine Finger (doch) nicht so wichtig für dein Gitarrenspiel ist, wie du glaubst.
Übungen für den kleinen Finger verschwenden deine Zeit
Manchmal verschreiben Lehrer spezifische Übungen, um die Kraft und Beweglichkeit deines kleinen Fingers zu trainieren.
Wie zum Beispiel diese hier:
Ich habe für solche Übungen viel Zeit aufgewendet.
Bis ich merkte: Das Verhältnis investierte Zeit zu Ertrag ist einfach zu klein.
Ja, mein kleiner Finger wurde ein wenig beweglicher.
Trotzdem blieb er der schwächste.
Wie kannst du deine Zeit besser investieren?
Übe Licks von echten Songs und finde heraus, wie du sie am bequemsten spielen kannst.
Du benötigst dazu deinen kleinen Finger nicht? Super!
Ohne Kleinen geht’s nicht? Auch genial!
Das oben genannte Beispiel kann ich übrigens mit dem Ringfinger mit viel mehr Kontrolle ausführen.
Das wichtigste Prinzip beim Gitarrespielen
Wenn es gut klingt, dann ist es richtig!
Hierzu ein Beispiel:
Nehmen wir die berühmte A-Moll Pentatonik
Was machen 99% der Gitarrenschüler, die die Tonleiter in dieser Position lernen?
Sie üben zunächst die Tonleiter senkrecht von oben nach unten und von unten nach oben.
Auf der tiefen E Saite, sowie auf der B und hohen E Saite kommen dann meistens Zeigefinger und kleiner Finger zum Einsatz.
Ganz in klassischer “ein Finger pro Bund” Manier.
Was passiert, sobald du dieses Muster in deinen Fingern hast?
Du willst Melodien, Riffs und Licks lernen, die dieses Pattern benutzen.
Spätestens jetzt merkst du, dass niemand, aber auch wirklich niemand deiner Vorbilder die A-Moll Pentatonik nur senkrecht rauf und runter spielt.
Es kommen Phrasierungs-Techniken wie Bendings, Slides, Hammer-ons und Pull-offs hinzu.
Hilfe! Plötzlich wechselt man auch waagerecht zwischen den Positionen.
Wenn du also musikalischer spielen möchtest, dann wirst du ziemlich bald dem soeben gelernten Pattern, wo jeder Finger seinen fixen Platz hat, die kalte Schulter zeigen müssen.
In der realen Welt sieht ein Lick in der A-Moll Pentatonik vielleicht so aus:
Rate mal welche Finger ich für dieses Lick benutzt habe.
Richtig! Zeige- und Ringfinger.
Denke niemals, dass du das Gesetz brichst und die Gitarren-Polizei dich büßen wird, wenn du nicht einem rigorosen ein Finger pro Bund Ansatz folgst.
Oder würdest du Eric Clapton die Bullen nach Hause schicken, weil er den kleinen Finger in einem Solo nicht benutzt hat?
Solche Finger Ansätze findest du sehr häufig in Blues und Rock Situationen, wo die Pentatonik weit verbreitet ist.
Jazz Gitarristen und Shredder werden jetzt wohl aufschreien: «Der kleine Finger ist ein vollwertiges Werkzeug auf deiner Gitarre.»
Es kommt natürlich auch darauf an, was du für Musikstile spielen möchtest.
Aber warte, da war doch ein Typ namens Django Reinhardt. Er spielte unfallbedingt meistens nur mit 2 Fingern. Geht doch!
Für bestimmte Iron Maiden Riffs und Licks wirst du den Kleinen vielleicht doch zur Hilfe nehmen müssen. Vor allem wenn du nicht die längsten Finger hast (wie ich), oder deine Finger sich nicht ultra weit dehnen lassen.
Der grosse Unterschied zu spezifischen Drills, ist, dass du in diesen Fällen gezielt eine Bewegung für den kleinen Finger in einem konkreten Kontext übst.
Du übst also nicht etwas, das du musikalisch (wahrscheinlich) nie so benutzen würdest.
Und was ist mit Akkorden?
Beim Spielen von Akkorden kommt mein Kleiner häufiger zum Einsatz.
Aber:
Wenn du zum Beispiel etwas im Chuck Berry Stil spielen möchtest, dann begegnest du rasch Akkord Bewegungen, wie diese hier:
Auch nach jahrelangem Üben schaffe ich es in dieser Position einfach nicht meinen kleinen Finger – egal auf welcher Gitarre – auf die kleine Septime im zehnten Bund zu bringen.
Gewisse anatomische Dinge lassen sich einfach nicht ändern.
Sollte ich darum das Gitarrespielen aufgeben?
Bestimmt nicht!
Mögliche Lösungen?
in einer anderen Lage spielen
- Du kannst den obigen Akkord (A5) verschieben. Und zwar als offenen Akkord am Halsanfang.
Vorteil: Du erreichst die grosse Sexte mit dem Ringfinger im vierten Bund und die kleine Septime mit dem kleinen Finger im fünften Bund ohne dir eine Zerrung zu holen.
Den Ringfinger befreien
Siebter Bund Minibarré über die A und D Saite. Mit dem Ringfinger kannst du jetzt die Sexte im neunten Bund und mit dem kleinen Finger die kleine Septime im zehnten Bund erreichen.
Noch ein Beispiel gefällig?
Nehmen wir einen klassischen D-Dur Barré im fünften Bund.
Um einen Dsus4 daraus zu machen müsstest du mit dem kleinen Finger die B Saite im 8. Bund erreichen. In dieser Haltung hast du ja sonst keine anderen Finger mehr frei.
Geht das bei dir?
Keine Chance?
Ich schaffe das, aber kann nicht behaupten, dass es so bequem wäre.
Aber, hey, es geht auch anders:
Vergiss dafür einfach den fünften Bund.
Mit dem Zeigefinger greifst du ein Mini Barré (jetzt hast du einen einfachen D-Dur Dreiklang) und dein Mittelfinger ist plötzlich frei wie ein Vogel, um einen Dsus4 daraus zu machen.
Ist viel angenehmer und weniger anstrengend.
Moral der Geschichte?
Befreie dich vom Gedanken, dass du etwas nur mit bestimmten Fingersätzen spielen darfst und kannst.
Die Gitarre ist der Inbegriff für Freiheit.
Welches andere Instrument gibt dir so viele verschiedene Wege, wie du einen Akkord oder eine Melodie spielen kannst?
Es gibt (fast) immer eine Alternative.
Nutze diese Flexibilität.
Ich sage dir nicht, du sollst den kleinen Finger nie benutzen.
Finde den für dich bequemsten Weg, wie du ein Lick, eine Phrase, eine Melodie oder einen Akkord spielen kannst.
Denn jeder Mensch hat einzigartige Hände.
Schreib mir in den Kommentaren, welches Verhältnis du zu deinem kleinen Finger auf der Gitarre hast. Ich freue mich.
Dein Gitarrenjunkie Moreno
….klingt sehr tröstlich, denn da mein linker kleiner Finger nach einer OP steif geblieben ist, hab ich es bisher nicht mehr gewagt Gitarre zu spielen 😳
Oh, tut mir leid zu hören. Aber die gute Nachricht ist: Ja, du kannst auch ohne den kleinen auskommen.