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gitarrensolos lernen

Soll ich Gitarrensolos Note für Note lernen?

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Es gibt zwei Typen von Gitarristen.

Die, die Gitarrensolos im Original lernen und nachspielen können.

Und die anderen, die selbst interpretieren und nicht originalgetreu nachspielen.

Das erklärte mir vor langer langer Zeit mein damaliger Gitarrencoach.

Seine Aussage kam unerwartet, als ich ihm eine Aufnahme eines von mir nach Gehör gelernten Solos schickte. 

Ich muss wohl das Original ziemlich genau getroffen haben.

Er selbst sei nicht der Typ, der es so genau nachspielen kann. Bei ihm klinge es immer nur ungefähr wie das Original.

Eines sei nicht besser, als das andere, fügte er noch hinzu.

Ok, ich als Gitarrenschüler war aber danach zwiegespalten: Einerseits, klopfte ich mir 478 Mal auf die Schulter (die mir immer noch weh tut), so stolz war ich auf mich. Ich hatte ja alles richtig heraugehört.

Andererseits, überfiel mich eine meiner grössten Gitarrenängste: Ich möchte doch kein Papagei sein!

Gitarrensolos lernen

Versteh mich nicht falsch. Ich liebe Papageie, ihr wunderschönes farbige Gefieder, herrlich!

Ich wollte einfach nicht in die Geschichte eingehen, als jemanden der Covers eins zu eins nachspielt, ohne ihnen eine eigene künstlerische Note zu verpassen.

Also, was tun? Weiterhin Solos Note für Note lernen? Oder sollte ich doch umstellen und mir nur die Grundideen eines Solos aneignen?

Wie soll ich Gitarrensolos lernen?

Gleich vorweg: Es gibt nicht DIE richtige Antwort.

Gehen wir diese beiden Extreme kurz durch.

  • Du bist von einem Dämon (deiner Wahl) besessen. Du willst alle Solos genau so, wie deine Idole spielen können. Du gibst nicht auf, bis du das ganze Solo drauf hast.
  • Du lernst von den Solos nur die einfachen Parts oder die, die dir gefallen. Es geht sogar noch extremer. Du lernst aus Prinzip keine Solos und verlässt dich auf die passenden Tonleitern und auf dein Gehör.

Extreme sind selten eine gute Sache.

Es hängt trotzdem alles sehr stark von deinen Zielen auf der Gitarre ab. 

Wenn du ein reiner «malen nach Zahlen Spieler» sein möchtest, dann wirst du kaum um die Dämon Papagei Methode herumkommen.

Dann spielst du vielleicht in einer Coverband, die die Songs und Solos so originalgetreu wie möglich dem Publikum vorspielt.

Alles kein Problem!

Wenn jedoch dein eigenes künstlerisches Schaffen die Star-Rolle einnehmen soll, musst du weiterdenken.

Aktives vs. passives (Gitarren)-Vokabular

Als du begonnen hast Gitarre zu lernen, da war dein aktives Vokabular noch sehr bescheiden. 

Mit aktivem Vokabular meine ich Melodien, Licks, Läufe, die du spielen kannst.

Du musstest, also, von irgendwo den Wortschatz aufsaugen. 

Bevor ein Lick aktives Vokabular wird, ist es zunächst immer passiv.

Passiv heisst, wenn du es hörst, dann verstehst du es, erkennst du es, es ist in deinem Kopf, du kannst es nachsummen oder nachsingen.

Von wo holst du dir dieses Vokabular? Na von Songs. Lehrbüchern und -Videos.

Auch wenn du noch am Anfang stehst, ist es wichtig, dass du Solos Note für Note lernst und übst. (Gratis Tipp: Noch besser, wenn du es zuerst nach Gehör versuchst. )

Klar wirst du dich nicht sofort an Solos von John Petrucci oder Adrian Smith wagen (oder vielleicht doch?). 

Du kannst auf jeden Fall mit einfacheren Solos beginnen. Du trainierst so nicht nur dein Gehör, sondern auch deine technischen Fertigkeiten, wie die Phrasierung und auch dein Gedächtnis.

So verwandeln sich alle Phrasen und Licks im Solo zu deinem aktiven Vokabular. 

Je mehr du das machst, desto grösser wird dein Wortschatz.

Wie in der gesprochenen Sprache gilt: Um zu kommunizieren, brauchst du nicht hunderttausende von Wörtern. 

(Merkt man eigentlich, dass ich auch als Sprachlehrer tätig bin?)

Wenn du kein Papagei sein möchtest, wäre es verheerend, wenn du das Gelernte so stehen lassen würdest. 

So könnstest du die Licks nur im Song anwenden, aus dem du sie gelernt hast.

Es wäre als ob du einen Text lesen würdest und ihn nur in der gelernten Reihenfolge aufsagen könntest.

Du möchtest aber deiner Gitarre frei sprechen können. Improvisieren und eigene Solos schreiben.

Darum, musst du all die tollen Phrasen nehmen und damit weiterarbeiten, wie zum Beispiel:

  • Auf andere Stellen auf dem Griffbrett übertragen
  • In anderen Tonarten spielen
  • Einen Backing Track abspielen (am Besten in einem anderen Genre) und die Licks dort unterbringen

Da kannst du nicht haargenau das Original Lick spielen. Der Rhyhtmus und der Feel ist ein ganz anderer.

All dies trägt dazu bei, dass du die Licks so zu «meinen Schatz» machst.

Spätestens ab da bist du nicht mehr im reinen Papagei Modus.

Die Wahrheit liegt (meistens) in der Mitte

War’s jetzt das? 

Natürlich nicht. Wir Menschen sind leider ungeduldige Wesen. Ja, ich auch!

Wir möchten uns nicht immer wochen- oder monatelang mit dem selben Solo herumschlagen.

Die Lösung?

Eine verkürzte Variante. Du schnappst dir die Licks im Solo, die du gerne in dein Spiel integrieren möchtest und lernst sie Note für Note.

Es zwingt dich niemand das ganze Solo immer zu lernen. Vor allem, wenn du ein 156 taktiges Biest vor dir hast.

Das bringt uns auch schon direkt zum zweiten Ansatz: Das Solo in seiner Grundidee bzw. nicht Note für Note lernen.

In diesem Fall ist es vorteilhaft, wenn du bereits ein Minimum an aktivem Vokabular dein Eigen nennst.

So kannst du leichter selbst etwas dazu improvisieren und deinem Gehör so gut es geht folgen.

Es eignet sich auch, um gewisse Passagen, für die du technisch noch nicht so weit bist, zu vereinfachen oder wegzulassen.

Beim Note für Note lernen begibst du dich in einen tiefen Deep Learning Ozean. Du kopierst von deinen Lieblingsgitarristen und machst daraus etwas eigenes. Das braucht viel Energie und Aufwand.

Beim Grundidee lernen versuchst du direkt etwas eigenes, auf der Grundlage von dem was du hörst, zu erschaffen.

Du siehst, das eine schliesst das andere nicht aus.

Die Mischung machts. Beide Wege führen zu neuem aktiven Wortschatz.

Ich wende momentan beide Variante an. Und dasselbe mache ich, wenn ich einen Song nachspiele, der ein Solo beinhaltet. Ich spiele das Solo nie eins zu eins nach, sondern wende eine Mischform an.

Gute Künstler kopieren. Grossartige Künstler stehlen.

Ein Künstler names Picasso

Also, sei kein reiner Copycat (ausser du willst es wirklich) und fang an zu «stehlen».

Und was sind deine Erfahrungen mit Gitarrensolos lernen? Teile sie gerne unten in den Kommentaren. Ich bin gespannt.

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