Du willst wissen:
Was soll ich auf der Gitarre üben?
Wie soll ich das üben?
Und vor allem:
Wie kann ich meinen Übeplan organisieren, damit er effektiv ist und mir Spass macht?
Dann bist du hier so richtig wie Nutella auf dem Brot.
Bereit für meine ultimative Anleitung, um effektiv Gitarre zu üben?
Ah, falls du jetzt einen Übeplan erwartest, der dir bis in kleinste Detail (10 Minuten dies, 5 Minuten jenes…) zeigt, was und wie du üben solltest, dann muss ich dich leider enttäuschen.
Das Üben auf der Gitarre ist so individuell, dass es gar nicht möglich wäre einen Plan aufzuzeigen, der für alle (viele) funktioniert.
Darum erkläre ich dir lieber Prinzipien, die du für dich selbst anpassen kannst. 😉
Immer noch dabei? Dann beginnen wir!
Hilfe, was soll ich auf der Gitarre üben?
Eines Tages kriegte ich einen “tollen” Video-Vorschlag von Youtube.
In diesem Video hat jemand, wieder mal, die Wichtigkeit des Lernens von Songs runtergemacht.
Gleichzeitig, die Wichtigkeit von technischen Übungen heraufgeschworen.
Die Message im Video war klar: Lerne ja keine Lieder, bevor du nicht die entsprechenden Technik Skills dazu hast.
Mittlerweile schmunzle ich nur noch über solche Ansagen.
Denn, ich bin da ganz anderer Meinung.
Ich erzähle dir jetzt auch wieso.
Es gibt dabei einen kleinen grossen Denkfehler: Sobald ein Song, oder auch nur ein Teil des Songs, nicht dem aktuellen Technik Niveau des Schülers entspricht, dann wird einfach pauschal davon abgeraten.
Er bekommt ohne mit der Wimper zu zucken eine Absage.
Weil: “Es könnte für Frust sorgen, du bist noch nicht so weit”.
Erinnert mich an die Standard-Absage bei Job Bewerbungen:
Stattdessen verkauft man dir als Lösung, mit Peitsche und Angst, (langweilige) Übungen, die dich fit machen sollen, um irgendwann besagte Songs spielen zu können.
Aber:
Wieso in aller Welt musst du dazu einen Umweg machen, um an diese Fähigkeiten zu kommen?
Wenn ich nach Paris möchte, gehe ich auch nicht zuerst nach Südafrika
Wie wäre es, wenn du direkt die Teile aus dem Song nehmen würdest und sie in Übungen verwandelst?
Wenn du direkt am Song arbeitest, macht das doch mehr Sinn und auch mehr Spass.
Leute, wir wollen Gitarre spielen lernen und was spielen wir auf unserer Gitarre?
Songs! Fremde und eigene.
In einem Song steckt ja bereits alles, was wir benötigen:
- Technische Fertigkeiten
- Gehörbildung
- Melodien
- Akkorde
- Rhythmen
- Phrasierung
- Improvisationen
- Songwriting
Darum: Sauge die Lieder wie ein Staubsauger auf.
Lerne nicht nur, wo du deine Finger hinstellen musst, sondern das Gesamtpaket.
So gehst du das Gitarre-Lernen ganzheitlich an und du hast Freude und Spass dabei.
Es gibt allgemein zwei Wege, wie du im Leben etwas tun kannst:
- Mit innerem Widerstand (etwas, das keine Freude macht).
- Mit Verlangen und Lust (etwas, das Freude macht).
Wir wissen beide, welcher der bessere Weg ist, nicht? 😉
Welche Songs soll ich üben?
Songs, die du liebst.
Aber das wäre zu allgemein gegriffen.
Ich teile die Songs, die ich lernen will, immer in drei Kategorien auf.
1. Kategorie – Für mich “einfache” Songs
In diese Kategorie fallen Lieder, die du ohne mega grosse Anstrengungen in relativ kurzer Zeit lernen kannst.
Das sind die “Ego-Aufpumper-Songs”, die deinen aktuellen Fähigkeiten entsprechen.
Es sind Kurzzeitprojekte, die dir ein schnelles Erfolgserlebnis bescheren und so deine Motivation aufrechterhalten.
Aber: Es sind auch Songs, die dich schnell langweilen können.
Darum brauchen wir noch weitere Kategorien.
2. Kategorie – Für mich “mittelschwere” Songs
Stell dir folgende Gleichung vor:
Deine aktuellen Fähigkeiten + 1 = Songs, die du mittelfristig lernen kannst.
Diese Songs schweben, also, ein wenig über deinen Fähigkeiten.
Für solche Lieder musst du dich mehr anstrengen, im Vergleich zur ersten Kategorie. Darum benötigst du auch mehr Zeit dafür.
Das sind deine Mittelfrist-Projekte.
3. Kategorie – Knacknuss-Songs
Jetzt ist erstmal Schluss mit easy peasy.
Hier geht es nicht mehr um Songs, die leicht über deinen Fähigkeiten liegen. In dieser Kategorie können die Lieder ruhig ein gutes Stück herausfordernder sein.
Du benötigst eventuell Monate dafür und sie können echte Frustbomben darstellen.
Aber: Es sind die Songs, die dich langfristig am meisten voranbringen.
Jetzt bist du dran.
Erstelle eine Tabelle mit diesen drei Kategorien und schreibe für jede Kategorie einen Song auf.
Gemacht? Ich gratuliere, du hast jetzt die endgültige Antwort auf die Frage:
Was soll ich auf der Gitarre üben?
Du übst Lieder, die du in relativ kurzer Zeit drauf hast.
Du übst Songs, an denen du langfristig beschäftigt bist.
Und du übst Songs, die genau in der goldenen Mitte sind.
Wenn du nur die ganz harten Brocken lernen würdest, dann ist es logisch, dass du irgendwann mal frustriert bist.
Darum benötigen wir auch die Kategorie eins, wo du Songs übst, die du in relativ kurzer Zeit lernen kannst.
Und wir brauchen auch eine goldene Mitte, weil Extreme nicht immer gut sind.
So stellst du sicher, dass du einen ausgewogenen und keinen öden Übeplan hast.
Sobald du mit einem Lied fertig bist und es ganz ausgepresst hast, ersetze es mit einem neuen das in die Kategorie passt.
Falls du zusätzlich noch Zeit übrig hast für spezielle Übungen, dann hindert dich natürlich niemand daran.
Aber mach’s einfach zusätzlich und nicht als Hauptaktivität. 😉
Da dies jetzt geklärt ist, machen wir doch gleich mit dem “Wie” weiter.
Hilfe, wie soll ich Gitarre üben?
Jedes Mal, wenn du übst, bewegst du dich in eine der vier Arten, die du gleich kennenlernen wirst.
Sie sind nicht allgemeingültig, ich habe sie mir so ausgedacht.
Am Schluss verrate ich dir auch, welche davon die beste ist, versprochen.
Lass uns doch direkt mit der ersten Übe-Art starten.
Der Indiana Jones-Modus
Auch der Entdecker-Modus genannt.
Hier dreht sich alles um das Entdecken von neuen Informationen und von neuem Material.
Zum Beispiel:
- Du versuchst, eine Melodie oder einen Song nach Gehör nachzuspielen.
- Du entdeckst zum ersten Mal eine bestimmte (Phrasierungs-)Technik.
- Du stiehlst neue Ideen von deinen Vorbildern (und experimentierst damit).
- Du lernst neue Akkorde aus einem Song kennen.
- Du hörst ein Schlagmuster heraus.
- Du verbindest dich physisch mit dem Beat des Songs.
- Du hörst einem Song aktiv zu.
- Ausgehend von einem Akkord, entdeckst du «zufällig» einen neuen.
Dieser Modus ist wahrscheinlich der aufregendste.
Als Indiana Jones startet ja eigentlich immer alles, nicht?
Sherlock Holmes-Modus
Hier geht es darum, alles was du neu entdeckt hast, zu analysieren, interpretieren und die Konzepte dahinter zu verstehen. Du gibst den Dingen einen Namen.
Du stellst dir Fragen, wie diese:
- In welcher Tonart ist der Song?
- Welche Tonleiter wird bei der Melodie gespielt?
- Wird die Tonart mitten im Song geändert?
- Ist die Akkordfolge eine 1-4-5 Verbindung?
- Wie heissen diese Akkorde?
- Ist das Dorisch oder Äolisch?
- Wie heisst jetzt diese Technik?
Wie Sherlock Holmes bildest du einen Mind Palace aus Wissen in deinem Kopf. Du gehst die Musik und die Gitarre investigativ an.
Sergeant Hartman-Modus
Du kannst diese dritte Art des Übens auch gerne als Drill-Modus bezeichnen.
Hier geht es darum, eine spezifische Sache, die im Song vorkommt, zu wiederholen, wiederholen und zu wiederholen.
Also das gezielte und isolierte motorische Trainieren. Um was du entdeckt hast, so abzuspeichern, dass deine Finger so mühelos wie möglich darauf zurückgreifen können.
Die Englischsprechenden nennen es auch muscle memory.
Dazu gehören:
- Akkordwechsel.
- Ausführung von Riffs, Licks und Melodien.
- Das gelernte auf Originaltempo zu bringen.
- Ausführung von Phrasierungstechniken (Vibrato, Bending, Slide…).
- Das Lied von Anfang bis Ende auswendig können.
Ich fürchte nicht den Mann. der zehntausend Kicks einmal geübt hat aber ich fürchte mich vor dem, der einen Kick zehntausendmal geübt hat.
Bruce Lee
Glas Wasser Modus
Wenn du ein Glas Wasser trinkst, dann fliesst es in deinen Körper.
Es ist im Fluss, das heisst, du denkst nicht nach, wo und wie das Wasser fliesst.
in diesem Modus befindest du dich immer, wenn du:
- Frei improvisierst
- An einer Jam Session bist
- Einen Song performst.
Kurz: Immer wenn du Gitarre spielst und nicht übst.
Das geschieht, wenn du alles, was du in den drei anderen Modi gelernt hast, in die Praxis umzusetzen versuchst. Bewusst oder unbewusst.
Welche Art Gitarre zu üben ist nun wirklich effektiv?
Es ist das Zusammenspiel aller vier. Alle zusammen ergeben mehr als die Summe ihrer Einzelteile.
Es lebe die Synergie!
Teile jedem Song in allen vier Modi genügend bzw. die nötige Zeit zu. Manchmal lassen sie sich sogar miteinander kombinieren.
Sobald du einen Modus zu sehr und zu lange vernachlässigst oder sogar nie beachtest, wird dein Fortschritt abrupt abbremsen.
Kennst du diese Autobahnausfahrten, wo du von 120 km/h innerhalb von Millisekunden auf 40 km/h runter musst? In etwa so fühlt es sich mit deinem Fortschritt auf der Gitarre an.
Sei dir ständig bewusst, welchen Hut du gerade beim Üben an hast.
Beobachte dein Übe-Verhalten und sei schonungslos ehrlich zu dir selbst, denn nur so kannst du den grössten Fortschritt herauskitzeln.
Gib mir gerne Bescheid, ob dich diese Prinzipien, um effektiv Gitarre zu üben weiterbringen und was du bei deiner Reflexion herausgefunden hast.
Falls du deinen Entdecker- und Investigativ-Modus noch ein bisschen pushen möchtest, dann hier lang: 5 Schritte, um Melodien auf der Gitarre nach Gehör zu lernen
In diesem Sinne
Man kann dir den Weg weisen, aber gehen musst du ihn selbst.
Bruce Lee
bin begeistert von dem umfangreichen Angebot. Herzlichen Dank
Ich danke dir für die nette Nachricht.
Hallo, danke sehr für den tollen Übungsansatz. ich bin schon seit Monaten Gitarre am üben/spielen. aber bei ich war mir immer unsicher ob ich überhaupt Fortschritte mache mit dem was ich mache .
habe ein Frage zu dem Konzept
ich übe jeden Tag gern mehrere Std.
wie soll ich die 3 Song modes aufteilen?
Tag 1 nur den leichten Song üben?
und Tag 2 den mittleren
Tag 3 den schweren?
oder
jeden Tag für gewissen Zeit jeden Song üben?
oder Song für Song einstudieren?
easy bis fertig und dann medium .. uns so weiter.
hoffe ich habe mich verständlich ausgedrückt.
lg Daniel
Hallo Daniel
Vielen Dank für deine Worte.
Das hängt davon ab, wie viel Zeit du pro Tag investieren kannst. Da du jeden Tag für mehrere Stunden übst, würde ich jeden Tag an alle 3 Songs feilen. So stellst du sicher, dass die Abwechslung und auch die Erfolgserlebnisse nicht zu kurz kommen.
Viel Freude weiterhin mit unserem Lieblingsinstrument!