3 Uhr morgens.
Du liegst wach im Bett.
Du kannst wieder mal nicht schlafen, weil dich ein Gedanke einfach nicht in Ruhe lässt:
«Warum klingen meine Gitarrensolos schlechter als die von Lil Wayne?»
Wieso schaffst du es nicht ein Solo hinzukriegen, das überzeugend und authentisch klingt?
Wir werden in diesem Artikel die Feinde von guten Solos jagen und nach Lösungen suchen, damit du definitiv bessere Gitarrensolos spielst, als der Herr da oben. 😉
Feind 1 – Tonleitern
“Meine Solos klingen, als ob ich eine Tonleiter rauf und runter spielen würde.”
Einer der häufigsten Sätzen von Gitarristen.
Ja, ich schliesse mich natürlich auch ein.
Aber wie kann es sein, dass Tonleitern deine Solos schlechter klingen lassen?
Die Wurzel des Übels liegt in der Art, wie du an dieses Thema herangehst.
Die folgenden Tipps, sind so sicher wie “Last Christmas” von Wham zu Weihnachten:
«Lerne die Moll Pentatonik. Sie ist einfach zu lernen, zu merken und zu spielen.»
Oder:
«Mit der Pentatonik schaffst du dir in kurzer Zeit ein Werkzeug für das Solieren auf deiner Gitarre drauf.»
Oder wie wär’s mit:
«In der Pentatonik gibt es keine schiefen Töne, du kannst nichts falsch machen.»
“Yeah, ich kann jetzt solieren!”, ist deine euphorische und logische Schlussfolgerung.
Ja und nein. Es stimmt, die Pentatonik ist eine Tonleiter, die “unerwünschte” Töne einfach mal liegen gelassen hat.
Aber es stimmt nicht, dass du immer alle Töne spielen kannst und sie immer passend klingen werden.
Kontext is King
Sagen wir, du machst eine kleine Reise nach London. Dort spricht man Englisch und du bereitest dich darauf vor, in dem du einige Sätze auswendig lernst.
Du checkst im Hotel ein. An der Rezeption fragen sie dich:
“How are you doing?”
Deine Antwort: “My Name is…”
Dann gehst du in einen Schuhladen und die Verkäuferin fragt dich: “What size do you need?”
Du antwortest: “I’m from Germany.”
Merkst du ‹was?
Du hast immer mit richtigen Sätzen geantwortet, die aber nicht zum Kontext gepasst haben.
Wenn deine Solos wie eine Tonleiter klingen, dann passiert dasselbe.
Du spielst einfach einige Noten aus der Tonleiter, die du gelernt hast, anstatt dem musikalischen Kontext zuzuhören und entsprechend zu reagieren.
Deine Finger haben die Macht über was du spielst.
Dieses Problem haben Sänger nicht, weil sie sich zuerst eine Note vorstellen müssen, bevor sie diese überhaupt singen können.
Sie haben keine Tasten, wie wir auf der Gitarre, die sie einfach drücken können.
Es gibt zwei Dinge, die du tun kannst, um diesen Schurken zu besiegen.
Deine musikalische Vorstellungskraft entfesseln
Das klingt jetzt vielleicht noch abstrakt, aber keine Sorge es gibt einfache Möglichkeiten, um das zu spielen, was du dir in deinem Kopf vorstellst.
Du siehst jetzt zwei Sätze. Wähle einen davon aus.
Ich liebe meine Gitarre.
Das Leben ist schön.
Einen ausgesucht? Super!
Denn jetzt wirst du singen. Sperre dich im Keller ein. Stelle sicher, dass deine Kinder, deine Frau oder deine Katzen dich nicht hören.
Höre zunächst folgendem Backing Track einfach mal zu. Sobald du mit der Akkordfolge des Tracks vertraut bist, versuche deinen gewählten Satz darüber zu singen.
Es ist völlig egal, wie gut du singst.
Glückwunsch, du hast soeben eine Melodie improvisiert.
Selbst wenn jedes Wort die gleiche Note war, hast du improvisiert.
Jetzt könntest du den anderen Satz nehmen und genau dasselbe tun.
Das war der erste Teil ohne Gitarre.
Weitere Wege, wie du deine musikalische Vorstellungskraft mit deiner Gitarre trainieren kannst, findest du in diesem Artikel:
Die 6 besten Übungen zum Improvisieren, die niemand macht.
Erweitere dein musikalisches Vokabular
Wenn du aus deiner Vorstellungskraft spielst (nicht aus deinen Fingern), dann klingen deine Gitarrensolos schon viel besser.
Aber manchmal merkst du vielleicht, dass du noch gar nicht so viel zu sagen hast.
Es ist wie beim Sprachenlernen: Du kannst nicht über Quantenphysik auf Englisch sprechen, wenn du dir das Vokabular nicht angeeignet hast.
So ähnlich ist es beim Gitarre spielen. Vor allem, wenn du dich an ein Musikgenre wagst, das du nicht so gut kennst.
Dann fehlen dir die Wörter in Form von passenden Licks, Phrasen und Melodien.
Wie baust du dir ein solches Vokabular auf?
In dem du Solos deiner Lieblings-Gitarristen lernst. Am besten nach Gehör.
Dort versteckt sich der Schatz, den du für deine musikalische Vorstellungskraft gebrauchen kannst.
Kombinierst du all diese Schätze mit dem, was du schon kannst, wird langsam dein eigener Stil entstehen, den du in verschiedene musikalische Kontexte anwenden kannst.
Feind 2 – Fingersätze
Wir widmen uns nun dem Bruder von Schurke Nummer eins:
“Ich bin in einem Fingersatz gefangen.”
Alle anderen Gitarristen fliegen wie ein Wellensittich von Baum zu Baum übers Griffbrett,
Nur du nicht. Du bist in einem Käfig namens “Pentatonik Fingersatz [beliebige Zahl einfügen]” gefangen.
Wie brichst du aus diesem Gefängnis aus?
Ich dachte früher immer, dass ich einfach mehr Positionen und Fingersätze lernen muss, um bessere Gitarrensolos zu spielen.
Klingt ja irgendwie logisch:
Mehr Positionen = mehr Auswahl = interessantere Solos.
Ich brauche die Fingersätze nur noch sinnvoll zu verbinden, wenn nötig mit Cheat Sheets, Roadmaps und sonstigen Abkürzungen.
Einspruch, Euer Ehren!
Trotz aller Anstrengungen klangen meine Gitarrensolos, als ob E.T. mit seinen Fingern spielen würde.
So stellte ich mir die Mutter aller Fragen:
Kommt überhaupt etwas Gescheites raus, wenn ich auf einer einzigen Position der Moll Pentatonik spiele?
Ich begann mich aufzunehmen. Das Resultat war so nüchtern wie beim Bluttest.
Wie sollte es auch anders sein. Warum sollte ich in mehreren Positionen gut klingen, wenn ich es nicht mal in einer Position schaffe?
Eine Unmenge an Gitarrensolos in der Geschichte erblickten das Licht der Welt in einem einzigen Fingersatz.
- Hey Joe
- Oye Como Va
- Foxy Lady
- …
In einer einzigen Position zu spielen ist kein Kapitalverbrechen.
Im Gegenteil, Du hast praktisch zwei Oktaven zur Verfügung, um Millionen von Melodien und Phrasen zu erfinden.
Es ist auf jeden Fall von Vorteil, wenn du überall auf dem Griffbrett spielen kannst.
Aber ist das Gefangensein in einer Position wirklich das Problem?
Es könnte auch sein, dass du dein Spiel einfach nicht magst, weil du immer wieder die gleichen Muster spielst oder weil dir deine perfektionistische Stimme sagt, dass es nicht gut genug ist.
Nehmen wir trotzdem an, dass du wirklich in dieser einen Position fest sitzt, wie in einem Panic Room.
Es liegt nicht daran, dass du zu wenig Positionen der Tonleiter kennst und kannst.
Die Ursache ist eher deine musikalische Vorstellungskraft, die dich noch nie gezwungen hat, aus diesem Käfig auszubrechen.
Vielleicht hast du dir noch nie eine Melodie vorgestellt. die ausserhalb dieser Position war.
Wie kannst du dieses Problem lösen?
Spiele Solos auf einer einzigen Seite
Spiele waagrecht und nicht senkrecht.
Auf diese Art kannst du dich nicht mehr auf deine Positionen und Fingersätze auf dem Griffbrett verlassen.
Du kannst jetzt plötzlich nicht mehr etwas Schnelleres spielen und du kannst auch nicht automatisch irgendwelche Licks anwenden, die du dir angeeignet hast.
Du bist gezwungen, dir eine Melodie auszudenken.
Erstelle eine Playlist mit Liedern, die du nicht kennst
Spiel das erste Lied ab und beginne auf der Gitarre mitzuspielen.
Spiel eine Note und höre, wie sie klingt.
Wenn du sie nicht magst, spiele eine andere Note.
Falls die Note, die du spielst, so richtig dissonant und “schräg” klingt, dann geh einfach einen Bund rauf oder runter und es wird schon viel besser klingen.
Da du bei dieser Übung die Songs nicht kennst, kannst du auch nicht auf bekannte Fingersätze zurückgreifen, zumindest nicht am Anfang.
Du musst deinen Ohren mehr Verantwortung geben. Sobald du die Tonart des Songs herausgefunden hast und/oder du in altbekannte Positionen gefallen bist, dann wird es Zeit den Song zu wechseln.
Das Ziel dieser Übung ist, dass du ohne Leitplanken versuchst zu spielen.
Feind 3 – Zu viel nachdenken
“Welche Skalen, Modes oder Arpeggios soll ich jetzt benutzen?”
“An dieser Stelle habe ich einen Fehler gemacht.”
“Wieso habe ich die Tonleiter, die ich letzte Woche gelernt habe, nicht benutzt?”
Wenn du solche Gedanken hast, kommt es nie zu einem Happy End.
Sobald du performst, solltest du nicht mehr “denken”.
Je mehr du versuchst, gut zu klingen und keine Fehler zu machen, desto schlechter wirst du spielen.
Ja, was nun?
Auf gut Deutsch: Sch%ç*% auf “Fehler”.
Die besten Solos kommen nicht aus der Schablone oder der “korrekten” Theorie.
Sie kommen aus deinem Unterbewusstsein, aus deinen Gefühlen.
Warte, dann ist also Musiktheorie für die Katz’ oder den Hund?
Nein, wenn aber deine Musiktheorie-Kenntnisse beim Spielen die Oberhand gewinnen, leidet deine musikalische Vorstellungskraft darunter.
Das ist so sicher wie eine laufende Nase im Winter.
Deine Solos werden unmusikalischer und vorhersehbar.
Beim Musiktheorie lernen ist eine Sache besonders wichtig:
Lerne alles, was du kannst. Verstehe, wieso die Songs, die du magst ,so gut klingen. Dann vergesse alles wieder, wenn du performst.
Unser Gehirn arbeitet auf zwei Arten:
- Als langsames System
- Als schnelles System
Wann bist du geboren?
Wie heisst deine Tochter?
Sherlock Holmes lebt in…?
1 + 1 = ?
Das sind alles Fragen, die du zack, boom, automatisch innerhalb weniger Millisekunden beantwortest.
Dein Gehirn muss nicht überlegen.
Genau so beim Fahrradfahren: Deine Bewegungen passieren automatisch.
Was ist mit folgender Frage?
8 Katzen essen 9 Mäuse. Wie viele Mäuse essen 233 Katzen?
Dein Gehirn weiss sofort, dass es sich anstrengen muss, weil es eine komplexere Aufgabe ist.
Du befindest dich im langsamen Modus und musst überlegen.
Was lehrt uns das?
Wenn du dir während einem Solo sagst:
“Ich könnte doch diese neue Tonleiter spielen.”
Dann bist du bereits im langsamen System und dein Solo wird im besten Fall nicht kacke klingen. Aber auch nie wirklich überzeugend nach dir.
Du musst dafür sorgen, dass die ganze Musiktheorie ins automatische, schnelle System übergeht.
Dann ist sie da, um sie anzuwenden. Und nicht um darüber nachzudenken.
Gut, aber wie schaffst du sie zu automatisieren?
Ich habe leider kein Zaubertrank für dich.
Der Schlüssel ist, aus echter Musik zu lernen. Lerne die Theorie-Bausteine und finde heraus, in welchem Zusammenhang sie mit der Musik, die du liebst, stehen.
Hier gilt: Je mehr du tust, desto “automatischer” und selbstverständlicher wird es.
Feind 4 – Das Griffbrett
Das Griffbrett, dein bester Freund.
Du lernst einen Tonleiter Fingersatz und kannst ihn in allen Tonarten genauso anwenden.
Gitarre spielen ist sooo einfach!
Das Griffbrett, dein grösster Alptraum.
Deine Solos klingen unglaublich nach “Gitarre”. Man riecht förmlich den Griffbrett-Duft aus der Ferne.
Dein vermeintlicher Freund (das Griffbrett) lädt dich regelrecht ein, immer wieder dasselbe zu spielen und einfach nur eine Taste zu drücken.
So entsteht dieser unmusikalische, vom Griffbrett geprägte, Sound.
Houston, wir haben definitiv ein visuelles Problem.
Pianisten kennen diese Sorgen nicht.
Eine C Dur Tonleiter können sie nicht exakt wie einen D Dur Tonleiter spielen. Da kommen noch schwarze Tasten dazu.
Es gibt zwei Auswege, wie du deine Gitarrensolos besser und melodischer spielen kannst.
Auf einer Saite solieren
Zwinge dich, auf einer Saite deine Solos zu spielen. So spielst du ungefähr, wie ein Pianist spielen würde: Waagrecht.
Wende dabei ruhig Vibratos, Bendings, Slides, Hammer Ons und sonstige Phrasierungs-Techniken an.
Aber komme nicht auf die Idee, diese eine Saite zu verlassen. Wenn du auf einer Saite etwas interessantes abliefern möchtest, dann bist du fast gezwungen eine Melodie spielen.
Spiele eine berühmte Melodie
Dein Kopf ist voller bekannten Melodien. Denk dir eine aus, die du auch unter der Dusche singen würdest.
Und jetzt spiel sie auf deiner Gitarre.
Nicht ein Lick oder ein Riff, eine Me-lo-die.
Mach das immer wieder.
So verbindest du deinen Kopf mit deinen Fingern so fest, wie mit einem Seemannsknoten.
Du denkst, es sei einfach?
Ganz und gar nicht.
Als Gitarrist bist du gewohnt coole Akkorde und Licks zu spielen. Melodien lassen Gitarristen häufig links liegen. Das ist doch Aufgabe der Pianisten und Sänger.
Erstelle dir eine Liste von Melodien, die du schön findest.
Und dann lerne sie nach Gehör.
Bis jetzt haben wir über Makro-Themen gesprochen, wie sich deine Gitarrensolos besser spielen lassen.
Gehen wir nun ein wenig mehr ins Detail.
Feind 5 – Zu lange Phrasen und keine Pausen
Hast du jemals unter Sprechdurchfall gelitten?
Du sprichst, sprichst und sprichst, als ob es keinen Morgen mehr gäbe.
Das kann dir auch beim Solieren passieren.
In einem Solo erzählst du idealerweise eine packende Geschichte.
Die Geschichte kann kurz oder lang sein.
Du solltest jedoch deine Phrasen (Sätze) kurz halten und dazwischen Pausen machen (atmen).
Spielst du z.B. drei Phrasen nacheinander, die auch nur leicht voneinander abweichen, hast du bereits eine Geschichte erzählt.
Mehr braucht dein Solo auch nicht, um die Leute mitzureissen.
Und wie bei fast allem im Leben: Beende dein Solo dann, wenn es am schönsten ist!
Die Shredder da draussen werden natürlich widersprechen. 😉
Feind 6 – Keine Wiederholungen
Was? Mein Problem ist doch, dass ich ständig das Gleiche spiele.
Und jetzt sagts du, dass ich mich wiederholen sollte?
Ja, ich meine damit: Bewusste Wiederholungen.
Wiederholungen innerhalb eines Solos zeigen, dass du genau weisst, was du tust. Und sie bauen Spannung auf.
Sobald du eine Phrase, die du einige Male nacheinander gespielt hast, auflöst, tritt ein Gefühl von Erleichterung und Befriedigung auf (bei dir und bei den Zuhörern).
Probier’s aus: Spiele eine Phrase 10 Mal nacheinander und beobachte, was du dabei fühlst. Und was geschieht, sobald du was anderes spielst?
Feind 7 – Nicht “eins” mit dem Rhythmus sein
Hast du das auch schon gemacht?
Du startest einen Song und spielst dein Solo einfach drauf los.
Dein Solo wird wie ein Fremdkörper klingen.
Halt! Alle zurück auf Start!
Und bitte zuerst schön eingrooven.
Wenn du den Rhythmus des Songs nicht fühlst, wird dein Solo nie cool klingen.
Du spielst dann das Solo bestenfalls neben und nicht zum Song.
Bevor du verschiedene Rhythmen in deinem Solo spielst, sag sie doch laut auf.
Pa-pa pa-pa-pa
Pa Pa Pa-pa
Und übertrage sie erst danach auf die Gitarre. So stellst du sicher, dass sie zum Song passen.
Denn Rhyhtmus ist das, was dein Solo von «geht so» in «wow, ist das wundervoll!» verwandeln kann.
Feind 8 – Auf jeder Note ein Vibrato spielen
Du musst nicht bei jeder (längeren) Note ein Vibrato draufpacken, weil “es sonst amateurhaft oder langweilig klingt.”
Das Gegenteil ist der Fall. Spielst du bei jeder gehaltenen Note ein Vibrato, klingt es schnell eintönig.
Der Zuhörer kann dann schnell und einfach zum nächsten Nostradamus erkoren werden. Er weiss ja ganz genau, dass jetzt wieder ein Vibrato kommt.
Natürlich sorgt ein Vibrato dafür, dass ein Solo geil klingt.
Machst du aber überall und immer ein Vibrato rein, dann verpufft der Überraschungseffekt und das besondere Gefühl, das ein Vibrato vermitteln kann.
Mach es doch einfach so wie mit dem Salz in der Küche: Du allein bestimmst für dich, wie salzig es sein soll.
Und à propos Küche, ist es auch eine Frage des Gerichts (Musikgenres).
Z.B. im Funk und Jazz sind sie seltener anzutreffen.
Blues und Rock/Metal kommen jedoch ohne eine geballte Ladung nicht aus.
So, das sollte an Stoff reichen, um besser Gitarresolos zu spielen.
Frage an dich:
Welche dieser Tipps wirst du anwenden?
Ich freue mich auf deinen Kommentar.
Dein Moreno